THE REVIEW THAT MALTE HERWIG THREATENED THE AUSTRIAN NEWS SERVICE WITH A 60 K EURO SUIT IF THEY DID NOT REMOVE IT!
Marie Colbin: Gedanken zu Peter Handke
Peter Handke und Marie Colbin im Jahre 1986 Bild: DVA
Am 8.8.2008 fällt mir Peter Handke nach 20 Jahren Abwesenheit wieder auf einem Gehweg zu, beinah wie damals Ende Juli 1983 am heißesten Tag des Jahrhunderts. Wir sitzen im Garten des Hotels Sheraton, und ich sehe seine kleinen Füße und sehe noch viel mehr und es ist mir vertraut, als hätten wir uns gestern erst getrennt.
Ein Jahr später, am 8.8.2009 um 16 Uhr, sitze ich wieder in den Korbmöbeln mit den winterweißen Pölstern, mir gegenüber Malte Herwig, ein junger, höflicher, sehr hochdeutsch sprechender Mann, der ein Buch über Peter Handke plante.
Im Vorfeld dachte ich, es wäre besser, ich rede mit dem Biographen, er könne sich dann vielleicht ein schärferes Bild machen, als er orientiere sich nur am Tratsch der anderen. Malte H. stellte ein Gerät in Tierform auf den Gartentisch. Ein rot leuchtender Innenkörper mit vier dunkelgrauen Beinen in Draht gewickelt starrte auf mich. Das Mikro wirkte wie ein Roboterhund, der jederzeit auf meinen Schoß hüpfen könnte. Irgendwie irreal, dieses Ding. Noch nie zuvor gesehen.
So öffnete ich mich also und versuchte auf die Fragen des Biographen zu antworten. Plötzlich legte mir Malte H. Briefe vor, nicht nur das, er las sie sogar laut. Als wäre ich vor Gericht, so wurde ich jetzt geprüft. Diese Briefe waren meine! Ich schrieb sie als sehr junge Frau an Peter Handke, im Vertrauen und nicht ahnend, dass diese zu Lebzeiten in fremde Hände geraten könnten. Es gäbe da ein Archiv, einen Vorlass, und ich war entsetzt und verletzt, fühlte mich verraten und verkauft. In dieser Hochspannung versuchte ich Haltung zu bewahren und den Fragen zu folgen. Viele Stunden saßen wir da, redeten, und die Vergangenheit riss mir das Herz wund. Ich versuchte zu vertrauen, jedoch gelang es mir nicht ganz.
Am 9. November 2010 wird das Buch erscheinen – das wusste ich, und ich schlief ab Anfang November schlecht. Der Postbote übergab mir das Paket, und ich öffnete es langsam. Ein starkes Coverbild lag da vor mir, auf schwarzmattem Papier. Die Struktur der winterweißen, harten Bucheinbindung erinnerte mich an die Korbmöbel im Garten des Hotels, auf denen wir saßen, der Dichter und auch der Biograph. Ich sehe auch noch den gepflegten Anzug des Biographen, auf den relativ kurz nach Beginn unserer Begegnung ein Vogel kackte. Ich sagte: „Vielleicht bringt das Glück!“ Als ich dann den Buchdeckel aufschlug, fand ich mich gleich im handschriftlichen Tagebuchauszug vom 3. Juni 1984. Sie sagte, ihr rechtes Bein sei zwei Mal in Gips gewesen: „Aber damals war ich noch Jungfrau.“ (Satz auf der Brücke) Ein olivfarbenes Blatt liegt auf dem Text, und dieser Farbton erinnert mich an ein von mir gefärbtes Hemd, das ich dem Dichter schenkte und mit dem ich somit zur Tintoretta wurde.
Nach dem Flashback wurde ich nervös, denn ich wollte mich im Innenteil des Buches suchen, diese Passagen also, von denen mir der Biograph im Vorfeld bereits berichtete. Wie soll ich ein Buch mit beinah 400 Seiten in einer Nacht lesen, das geht einfach nicht. Ich muss also erst einmal drüberfliegen. Die Sache mit Mann und Frau auf Seite 235, ich finde und fliege. Erst mal bin ich erleichtert. Puh, durchatmen, es hätte schlimmer kommen können. Jedoch auch stärker und tiefer, so hätte ich es mir gewünscht.
Da waren Wörter verdreht, vieles fehlte und manches hätte ich so gar nicht gebraucht. Erwarte ich zu viel? Ist es denn möglich, wenn Dritte über Dritte schreiben, dass es der Wahrheit entspricht?
Eigentlich wollte ich das Buch gleich weglegen, da es belastet und alte Wunden aufreißt. Ich versuchte die Emotion abzustreifen und etwas gelassener zu werden, war neugierig und wollte diese Biographie lesen. Zeile für Zeile. Somit begann ich damit. Als würden die Buchstaben aus den Seiten fallen. Der Druck ist nicht zentriert, das mag ich nicht. Mir ist, als würde ich die Buchstaben verlieren beim Lesen.
Dennoch lese ich den Anfang gern, über diese wilde Mutter und den etwas eitlen und doch lieben Vater, dessen Hund auf dem Bild mich an den meines Großvaters erinnert. Es ist kein Collie, wie dort beschrieben, sondern eine Setterart, diese Hunde liebe ich besonders. Ich fliege weiter und lache und bin berührt und bewegt.
Der Biograph war fleißig. Der erste große Teil ist sehr gelungen, finde ich. Die Nacht ist lang und ich lese und lese. Es bannt mich, es ist auch spannend, bis ich dann in diese Frauenspur gerate, und ab da kippt das Buch. Irgendwie stimmt es nicht mehr. Wenngleich im ersten Großteil vieles auch etwas langatmig ist und diese Rückblenden, die Wiederholung der Wiederholung, mich manchmal nerven, so wirkt das Geschriebene dennoch wahrhaftig auf mich. Ab der Frauenspur dann nicht mehr.
Ich erinnere mich wieder an den ersten Eindruck des Biographen. Ich dachte: „Der ist zu jung!“ Zehn Jahre später, das wäre besser. Wie soll ein Mitte-Dreißig-Jähriger eine Biographie über einen beinah 70-Jährigen schreiben können? Vor allem dieses Frau-Mann-Thema, dafür ist er zu jung. Noch voll mit Illusion und Paartraum.
Ja, und dann lande ich wieder inmitten meiner Sätze, verdreht zitiert, und werde wütend. Nicht nur meine Worte sind verdreht, sondern auch die anderer. „Lieber, lieber Handke, vergessen Sie keinen Augenblick, dass Sie mit meiner Frau sprechen!“ Ihr Heller. So wäre das Original gewesen. „Lieber Peter, bitte bedenken Sie, dass Sie mit meiner Frau unterwegs sind.“ Ihr A.H. – so steht es im Buch.
Die Färbung der Zwischentöne, mir wäre die wichtig, denn Heller würde nicht so mit Handke reden. Und wenn es schon ein Tonband gibt, auf dem ich Klartext spreche, verstehe ich die Verdrehung nicht. Auch, dass Heller unterstellt wird, er hätte mich zu dem Polittext 1999 animiert, ist Irrwitz! Denn in jener Zeit hatte ich bereits 15 Jahre lang keine Verbindung zu diesem Mann.
Der Text 99 brach aus mir selbst, aus Wut zwar, jedoch auch aus Überzeugung. Ich hatte eine andere politische Haltung, da mir alles Nationale zuwider ist. Ich wünschte mir damals Handke als Mittler und nicht als derart Wütenden. Ich baute einen Text als Metapher zu diesem Krieg, und ich fand schrecklich, wie mein Text von der Presse reduziert und billigst vermarktet wurde. Dass der Biograph jetzt wieder in diese drei Endsätze taucht und nicht meine politische Haltung weitergibt, verletzt mich. Wozu sprach ich Stunden mit diesem Mann?
Wenn ein Vulkan ausbricht, Lava über dich fließt und du überlebst, dies dann als Tritt in den Po beschrieben wird, dann sage ich, es sollte lieber geschwiegen werden. Ich würde niemals einen Schreiber bei seiner Arbeit aufhalten. NIE! Denn ich achte sein Tun und habe davor Respekt.
Ich möchte nicht, dass so über mich geschrieben wird, denn das ist Lüge. Ich denke, der Biograph wusste nicht so recht, wie er zum politischen Teil des Buches gelangen soll. Er benutzte mich als Art Brücke. Als wir uns begegneten, wollte er den politischen Teil draußen lassen. Ich sagte: „Das geht aber nicht. Das ist nun mal ein zentrales Thema.“
Ich fühle jetzt beim Lesen des 6. Kapitels, dass da etwas nicht stimmt. Dass da zurechtmodelliert wurde. So sehr ich den Anfang des Buches mochte, so sehr mag ich den Schluss nicht.
Plötzlich sind wir im Märchen, und alle sollen den Helden lieben. Ja, ich verstehe, dass der Autor seinen Protagonisten gut aus dem Buch entlassen will, aber heiligsprechen sollte er ihn nicht.
Ich erhob meine Stimme, weil ich dazu gebeten wurde. Jetzt schließe ich das dicke Buch, verlasse das Vergangene, versuche mit den Projektionen und Wahrnehmungen der anderen klarzukommen, um zu überleben, lande wieder auf der Erde und LIEBE MEINE FREIHEIT!
Zur Person Marie Colbin* 18. November 1957 in Gmunden, absolvierte die Schauspielschule des Mozarteums in Salzburg, nahm dann Gesangs- und Tanzunterricht.
1977 Debüt in Peter Turrinis „Rozznjogd“. In den 1980ern war sie in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen.
1984 Deutscher Filmpreis als beste Hauptdarstellerin in „Der Fall Bachmeier – Keine Zeit für Tränen“. Colbin lebt als Fotografin und Autorin in Berlin und Salzburg.
Marie Colbin in Film und Fernsehen: 1980 „Auf halbem Weg“, „Reinheit des Herzens“. 1981: „Malou“; 1982: „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“; „Sei zärtlich, Pinguin“, „Miras Haus“. 1983: „Karambolage“, „Das Gold der Liebe“, „Frühlingssinfonie“; 1986: „Die Walsche“; 2004: „Augenleuchten“; 2006: „Die Zeit, die man Leben nennt“.
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